Tränen - Perlen des Herzens

23.03.2015
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Sie will es auch gar nicht. Nein, im Gegenteil. Sie ist froh, endlich wieder weinen zu können. Lange Zeit war sie wie erstarrt gewesen und ihre Augen waren trocken. Jetzt spürt sie Erleichterung in ihrem Brustkorb, im Raum ihres Herzens. Es ist, als öffnet sich ein Tor. Der Brustkorb weitet sich, der Atem wird zunehmend tiefer, ja, sie kann wieder durchatmen. Welch ein wohlwollendes Gefühl. Zu lange hatte sie ihre Gefühle verdrängt, sich nicht erlaubt, sie zu zeigen, geschweige denn zu äußern. Irgendwann wußte sie selbst nicht einmal mehr, welches Gefühl aus ihr heraus wollte. Ob es Wut war, Angst, Traurigkeit, Freude, Begeisterung...Sie wirkte unnahbar auf Andere, wie ein Eisblock. Dabei hatte sie vor langer Zeit, schon in ihrer frühen Kindheit, diesen Panzer um ihr Herz gebaut, um ihre Feinfühligkeit, ihre Verletzlichkeit zu schützen. Denn die durfte in ihrer Familie nichr gelebt werden. Ihr patriarchalischer Vater erwartete von seinen Kindern Leistung, Disziplin und Moral. Feinfühligkeit? Das war etwas für Weicheier. Schon als Kind strengte sich Mandora sehr an, um den Anforderungen ihres Vaters gerecht zu werden. Es war vergeblich. Denn der Vater wußte doch jedesmal etwas auszusetzen, wie sie es noch besser hätte machen können. Lob? Kannte sie nicht. Tiefe Resignation breitete sich in ihr aus. Ein lähmendes Gefühl machte sich in ihr breit und beherrschte sie. Mandora konnte lange Zeit für sich selbst keine Entscheidungen treffen und überließ dies anderen Menschen. So war sie zum Spielball geworden, statt ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen. Oh ja, das hatte sie gut trainiert. Sie wußte nicht einmal mehr, welche Bedürfnisse sie überhaupt hatte. Irgendwann fing sie an, Andere für ihr Dilemma verantwortlich zu machen. Es war ihr verzweifelter Versuch, ihr Abwehrmechanismus, ihren eigenen Schmerz und ihre Verletzung nicht ansehen zu müssen. Sie identifizierte sich so sehr mit diesem Mechanismus, dass sie selbst glaubte, die ganze Welt sei eine Bedrohung für sie. In Allem sah sie das Negative, war voller Mißtrauen und konnte sich nicht mehr freuen, nicht mehr lachen. In ihr breitete sich eine Depression aus, sie zog sich innerlich immer mehr zurück, wurde ängstlich, traute sich gar nichts mehr zu. Sie ließ niemanden mehr an sich heran. Mauern umhüllten sie. Sie war gefangen in sich selbst. Ihre schlimmste Angst als Kind war die Angst vor Bestrafung. Die Prügel vom Vater waren das Schrecklichste für sie, er hatte starke Hände, da er Sportler war. Noch als Erwachsene reagierte ihr Unterbewußtsein mit Panik, wenn sie so ähnliche Hände sah, wie die ihres Vaters. Doch es gab noch etwas viel Schlimmeres als die Prügel. Der Liebesentzug, wie Luft behandelt zu werden, als existiere sie nicht. Als Kind sah sie sich selbst als Anlaß für den Liebesentzug und baute sich eine Welt aus Schuldgefühlen auf. Sie glaubte, schrecklich böse sein zu müssen, denn sonst würde sie der Vater niemals so bestrafen und mißachten. Was hatte sie nur Schlimmes getan? - Nichts - es gehörte zum Vater.

Das weiß sie jetzt, durch die vielen Erkenntnisse aufgrund der jahrelangen Arbeit an sich selbst, mit vielen wunderbaren Menschen, die ihr geholfen haben, sich wieder wertvoll zu fühlen. Welch ein Segen und Dankbarkeit für jede Träne, die sie jetzt in diesem Moment vergießt. Sie weiß, es ist ihre Heilung und ihre Befreiung. Erleichtert läßt sie ihre Tränen weiterlaufen. Und während dies geschieht, bricht der Himmel auf und die Sonne strahlt in ihr Gesicht. Sie lächelt und ist sich bewußt, wie schön und lichtvoll ihr Leben jetzt ist. Danke dem Leben.

 

 

Angela Illik

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