Ich bin eine Säerin

09.06.2015
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ICH BIN EINE SÄERIN

Schon als Kind war ich fasziniert von den Wundern der Natur. Meine Großeltern hatten hinter ihrem Haus einen großen Acker, auf dem mein Großvater Weizen anbaute. Im Frühjahr streute er den Samen noch mit der Hand aus. Dazu band er sich einen großen Eimer um den Bauch, der gefüllt mit den Weizenkörnern war. Er streute die Samenkörner mit der Hand über das ganze Feld aus. Von ihm lernte ich die Wunder der Erde kennen.

 

Das Keimen der Samen, das Durchbrechen durch die Erde, die Entfaltung der zarten Pflanzentriebe bis hin zum kräftigen und widerstandsfähigen Korn. Zur Zeit der Reife schaute Großvater an den Ähren nach, ob sich der Spelz schon leicht vom Korn lösen ließ, denn das war das Zeichen, dass die Ernte beginnen konnte.
Die Entwicklung des Samens bis zum reifen Korn können wir Menschen nur bedingt beeinflußen, indem wir den Boden gut vorbereiten, indem wir die Schädlingspflanzen zwischen den Getreidepflanzen entfernen und indem wir Geduld üben bis zur vollständigen Reife, das Vertrauen und die Hingabe an die Natur. Denn die elementaren Kräfte der Naturgewalten spielen eine wesentlich größere Rolle für die Entwicklung der Pflanzen als unser menschliches Zutun. Diese Kräfte sind auch nicht durch unseren menschlichen Willen zu beeinflußen, wir können uns ihnen nur hingeben und im Einklang mit den Elementarkräften von Mutter Erde leben.
Da ist die Sonne – das Element Feuer – ist sie zu heiß, verbrennt das Korn. Fehlt sie, kann das Korn nicht genügend wachsen.
Da ist das Wasser – das Element Wasser - der Regen, ist er zuviel, wird das Korn schwarz, ist er zuwenig, vertrocknet das Korn.
Da ist der Wind – das Element Luft – bläst er zu stürmisch, kann er den Samen wegblasen oder den Boden austrocknen.
Da ist der Boden – das Element Erde – ist die Erde nicht genügend mit Nährstoffen versorgt, wächst das Korn kümmerlich.
Es verhält sich wie in unserem menschlichen Leben.

Rückblickend auf mein bisheriges Leben, erkenne ich heute: ICH BIN EINE SÄERIN
Manche Samen, die ich säte, konnten gar nicht aufgehen, da ich den Boden nicht ausreichend genug vorbereitet hatte – es war die Zeit des vorschnellen Handelns
Manche Samen, die ich säte, habe ich viel zu viel gewässert, sie wurden regelrecht überschwemmt – es war die Zeit der Übereifrigkeit, des falschen Denkens „viel hilft viel“
Manche Samen, die ich säte, goß ich viel zu wenig, sie trockneten ein – es war die Zeit des Allzubeschäftigtseins mit , aus heutiger Sicht, unnützen Dingen
In manchen Zeiten säte ich gar keine Samen mehr, mein Garten blieb kahl und leer, ich war unfähig, auch nur ein einziges Samenkorn zu säen – es war die Zeit der Überforderung, der Resignation und Ausweglosigkeit auch die Zeit der Hoffnungslosigkeit
In manchen Zeiten säte ich Samen, die sich gut entwickelten, doch ich erntete das Korn zu früh, es war noch unreif – es war die Zeit der Ungeduld und des Nichtabwartenkönnens
In manchen Zeiten säte ich Samen, die sich auf ihre eigene Art entwickelten und so gar nicht nach meinen „geplanten“ Vorstellungen, ich trampelte sie kaputt und nahm ihnen den Raum – es war die Zeit der Selbstzerstörung, der Selbstverurteilung, der Beschränkung meiner Freiheit und meines ureigenen Seins
In vielen Zeiten säte ich Samen, die auf gesunden Boden fielen, die ausreichend Wasser, Sonnenlicht und Zeit zur Reife bekamen. Sie entwickelten sich prächtig, wurden stark, lebensfähig und widerstandsfähig – es war die Zeit meiner drei Kinder, die ich heute mit Freude als ein göttliches Geschenk betrachte, es war die Zeit der Ideenverwirklichung und Umsetzens in die Welt.
Heute stehe ich in der Lebensmitte, so ungefähr im Spätsommer des Lebens. Ich säe ganz bewusst Samen, nicht mehr soviele, doch genügend. Ich prüfe vorher, ob der Ort der Richtige für die Saat ist und der Boden gut genährt ist. Ich säe sie mit Liebe aus, schaue regelmäßig nach, ob sie genügend Wasser erhalten und übergebe sie dann im Urvertrauen, im Einklang mit den Schöpfungswundern an die elementaren Kräfte der Natur. In dem Bewußtsein, dass alles am richtigen Platz ist, dass alles seine notwendige Zeit der Reife braucht und vor allem, dass jeder einzelne Same etwas Einzigartiges auf dieser Welt ist und sich auf seine ganz besondere Art aus sich selbst heraus entwickelt.
Ich trete einen Schritt zurück und beobachte staunend die Entfaltung der Samen in ihrer Freiheit, im Einklang mit den Elementen- Erde – Wasser – Sonne – Wind.
In dem Bewußtsein, dass ich mein Menschenmögliches tue , nicht mehr und weniger, und anschließend den Samen den größeren Kräften übergebe in Liebe , in Respekt und Dankbarkeit vor Allem, was größer ist als mein kleines menschliches ICH.
Ich bin eine Säerin und säe weiter.

 


Angela Illik

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